Lyn Kinase-Aktivität als Therapietarget der Chorea-Akanthozytose

Translation von der Laborbank zum Patientenbett

Stand der Forschung

Chorea-Akanthozytose (ChAc) ist eine unheilbare neurodegenerative Erkrankung des jungen Erwachsenenalters mit Ausbildung verformter Erythrozyten (Akanthozyten), die durch Mutationen im VPS13A-Gen verursacht wird. Ein pathophysiologischer Schlüsselmechanismus ist eine erhöhte Aktivität der Tyrosinkinase Lyn. Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKIs) wie Dasatinib oder Nilotinib sind zur Behandlung von Leukämien zugelassen und stehen somit für eine Translation in die Neurologie unmittelbar zur Verfügung. Außerdem wurden TKIs bereits im Kontext neurodegenerativer Erkrankungen in Phase II/III-Studien erprobt und wiesen gute Sicherheitsdaten auf (u.a. Pagan et al., JAMA Neurol, 2019; Turner et al., Ann Neurol, 2020; Simuni et al., JAMA Neurol, 2020).

Ergebnisse der präklinischen Forschung

Einem von unserer Arbeitsgruppe geleitetem internationalen Konsortium (EMINA-2) ist es gelungen, sowohl im Erythrozyten- als auch Neuronenmodell (abgeleitet von patientenspezifischen iPSZ) den Zusammenhang zwischen erhöhter Lyn Kinase-Aktivität und pathologischem Phänotyp nachzuweisen. Lyn-Inhibition führte u.a. zu einer Verminderung der neuronalen Übererregbarkeit und zur Wiederherstellung gestörter Autophagieprozesse im Zellmodell (Lupo et al., Blood, 2016; Stanslowsy et al., J Neurosci., 2016).

Ergebnisse der klinischen Translation

Eine frühe klinische Translation erfolgte im Rahmen individueller Heilversuche einzelner ChAc-Patienten mit Dasatinib. Die Behandlung erwies sich als sicher. Experimentelle Read-Outs wie die Lyn Kinase-Aktivität, Autophagie-assoziierte Proteine und das Aktin-Zytoskelett sprachen für ein positives „Target Engagement“ in den Erythrozyten, während prädefinierte klinische Outcome-Parameter kein positives Ansprechen bezüglich des zentralen Nervensystems zeigen konnten (Peikert et al., J Pers Med, 2021). Parallel wurden in Zusammenarbeit mit unseren Kooperationspartnern die TKIs Dasatinib und Nilotinib vergleichend im Mausmodell – im Sinne einer „reversen Translation“ - erprobt, wobei bei beiden analog zu den klinischen Daten eine Verbesserung des peripheren Blutphänotyps gezeigt werden konnte, aber nur Nilotinib ausreichend in die Basalganglien penetrierte und dort positive Effekte auf Autophagieprozesse und sekundäre Neuroinflammation nachweisbar waren (Peikert/Federti et al., Acta Neuropathol Commun, 2021). Somit kristallisiert sich Nilotinib als aussichtsreichster Kandidat für weitere Studien heraus.

Unzureichende Kenntnisse zum natürlichen Krankheitsverlauf und fehlende Biomarker stellten sich in diesem Kontext als wesentliche Limitationen für eine unmittelbare „Clinical Trial Readiness“ heraus. Es gelang im Rahmen dieses Projektes, vielversprechende Biomarker-Kandidaten zu identifizieren, darunter Neurofilament im Serum (Peikert et al., Parkinsonism Relat Disord, 2020) und die Blutsenkungsgeschwindigkeit (Darras/Peikert et al., Cells, 2021; Rabe et al., Biomolecules, 2021).

Perspektiven

Die Nachfolgesubstanz Nilotinib wird derzeit bei einzelnen Patienten im Rahmen von individuellen Heilversuchen eingesetzt und untersucht. Eine generelle Empfehlung zum Einsatz dieses Medikamentes bei ChAc kann aus den bisherigen Ergebnissen jedoch ausdrücklich nicht abgeleitet werden. Im Rahmen der individuellen Heilversuche wurden dafür erstmals Protokolle zur longitudinalen Erfassung des Krankheitsverlaufes etabliert, die im Rahmen von künftigen Studien in Kombination mit den etablierten Biomarkern zum Einsatz gebracht werden können. Derzeit laufende Projekte werden außerdem zum besseren Verständnis des natürlichen Krankheitsverlaufs und damit zur „Clinical Trial Readiness“ beitragen.

Förderung

Die Arbeit an seltenen Erkrankungen einerseits und die rasche klinische Übertragung von Grundlagenwissenschaften zum Patienten andererseits ist zentraler Punkt der neugeschaffenen Schilling-Professur, auf die Prof. Hermann berufen ist. Die Hermann und Lilly Schilling Stiftung für medizinische Forschung im Stifterverband fördert universitäre Neurologien, indem Sie neue Professuren und Arbeitsgruppen in solchen schafft. Außerdem wurde das Projekt gefördert von der „Rostock Academy for Clinician Scientists“ (RACS ) vom „Centre for Regenerative Therapies Dresden” (CRTD) und dem Else Kröner Clinician Scientist-Programm der TU Dresden.

Publikationen

Therapeutic targeting of Lyn kinase to treat chorea-acanthocytosis
Peikert K*, Federti E*, Matte A, Constantin G, Pietronigro EC, Fabene PF, Defilippi P, Turco E, Del Gallo F, Pucci P, Amoresano A, Illiano A, Cozzolino F, Monti M, Garello F, Terreno E, Alper SL, Glaß H, Pelzl L, Akgün K, Ziemssen T, Ordemann R, Lang F, Brunati AM, Tibaldi E, Andolfo I, Iolascon A, Bertini G, Buffelli M, Zancanaro C, Lorenzetto E, Siciliano A, Bonifacio M, Danek A, Walker RH, Hermann A*, De Franceschi L*. May 2021. Acta Neuropathol Commun 9:81. doi:10.1186/s40478-021-01181-y. *contributed equally.

Targeting Lyn Kinase in Chorea-Acanthocytosis: A Translational Treatment Approach in a Rare Disease
Peikert K, Glaß H, Federti E, Matte A, Pelzl L, Akgün K, Ziemssen T, Ordemann R, Lang F, The Network for Translational Research for Neuroacanthocytosis Patients, De Franceschi L*, Hermann A*. May 2021. Journal of Personalized Medicine 11(5):392. doi.org/10.3390/jpm11050392. *contributed equally.

The Erythrocyte Sedimentation Rate and Its Relation to Cell Shape and Rigidity of Red Blood Cells from Chorea-Acanthocytosis Patients in an Off-Label Treatment with Dasatinib
Rabe A*, Kihm A*, Darras A*, Peikert K*, Simionato G*, Dasanna AK*, Glaß H, Geisel J, Quint S, Danek A, Wagner C, Fedosov DA, Hermann A, Kaestner L. May 2021. Biomolecules 11(5):727. doi.org/10.3390/biom11050727. *contributed equally.

Acanthocyte Sedimentation Rate as a Diagnostic Biomarker for Neuroacanthocytosis Syndromes: Experimental Evidence and Physical Justification
Darras A*, Peikert K*, Rabe A, Yaya F, Simionato G, John T, Dasanna AK, Buvalyy S, Geisel J, Hermann A, Fedosov DA, Danek A, Wagner C, Kaestner L. April 2021. Cells 10(4):788. doi.org/10.3390/cells10040788. *contributed equally.

Neurofilament light chain in serum is significantly increased in chorea-acanthocytosis
Peikert K, Akgün K, Beste C, Ziemssen T, Buhmann C, Danek A, Hermann A. November 2020. Parkinsonism Relat Disord 80:28-31. doi: 10.1016/j.parkreldis.2020.09.004.